Ich erzähl dir mein Essen…


Kracherwochenende


Dort wo Wein wächst, haben die Menschen Lebensart. Die Natur meint es gut mit ihnen und die Landschaft vermag beim ersten Anblick zu verzaubern. Obwohl solche Weisheiten im Prinzip ganz richtig sind, hatte ich das Städtchen Ingelheim bisher nicht gerade als Juwel des Rheingaus Rheinhessens wahrgenommen. In Erinnerung waren eher die Gewerbeflächen am Rheinufer und das öde Zentrum geblieben. So, wie sich Ingelheim im Februar präsentierte, war es eher etwas für’s Herz und für die Leber, – weniger etwas für’s Auge.

Umso mehr riss mich mein jüngster Besuch vom Hocker. Von allen Seiten schwappte mir saftiges Rebengrün entgegen. Am Straßenrand und in den Gärten bogen sich die Äste unter der Last von reifen Mirabellen, Kirschen, Pflaumen und Aprikosen.

Weil ich beim Planen und Buchen nicht so richtig aufgepasst hatte, war ich recht erstaunt über den extrem entlegenen Berggipfel, auf dem sich mein Hotel befand. Dass der Besitzer gleich neben den Gästezimmern ein paar relativ große Katzen hält, war mir immerhin am Abend vor meiner Anreise noch aufgefallen.

Die Lage war natürlich alles andere als schlecht. Zu meinem Glück stellte sich heraus, dass nette Menschen ganz in der Nähe abgestiegen waren. Und Google Maps war der Ansicht, dass ich zu Fuß in etwa 30 Minuten bei ihnen sein könnte. – Au, super! Da mache ich mich doch gleich auf den Weg. Die Sonne scheint, Mirabellen wachsen direkt in meinen Mund hinein, entzückende Weinberge säumen den Weg, und ich blicke entspannt auf den Rheingau, yeah!

An der ersten Abzweigung nahm ich Kontakt zur einheimischen Bevölkerung auf, um zu fragen, ob ich wirklich (wirklich?) noch den ganzen Berg hinab steigen müsste. Ja, sagte die nette ältere Dame, bei der ich wenig später auf dem Beifahrersitz landete. Tatsächlich hätte ich sogar nach meinem Abstieg noch ein gutes Stück bergauf laufen müssen und ich bin mir sicher, dass ich den Weg sowieso niemals gefunden hätte. – Danke also an die nette Ingelheimerin, die mich mitgenommen hat!

Auf dem Nachbarberg traf ich also meine beiden Klamottengeschwister und zu dritt setzten wir in unseren weißen Hemden und blauen Jeans den netten Spaziergang auf einer Route fort, die nach Einschätzung von Google Maps wiederum etwa 30 Minuten in Anspruch nehmen sollte.

Mit privaten Einzelheiten will ich meine Leser gar nicht belästigen. Daher kürze ich an dieser Stelle mal erheblich ab. Sofern man zu dem Nachmittag, der auf diesen Spaziergang folgte, zu dem Abend und zu der Nacht überhaupt etwas Nüchternes sagen kann, dann nur so viel: Es war ein Kracher, und ich hatte nichts anderes erwartet. – Ja, nicht nur in menschlicher und gesellschaftlicher Hinsicht! Auch in kulinarischer Hinsicht, lasse ich mir von Arthurs Tochter gerne mal den einen oder anderen Kracher schmecken.

Das erste, was ich bei Frau Tochter am Samstag gegessen habe, waren sozusagen Tomatenkracher, die mit dem ersten Biss herzhaft krachen und danach aromatisch im Mund zerfließen. Die erste Dosis macht sofort abhängig. Danach verteidigst Du Deinen Platz am Büffet und bei nächster Gelegenheit rennst Du los, um Kirschtomaten und weißen Balsamico zu kaufen. – Unbedingt probieren! Unbedingt nachmachen!

Beim nächsten Mal werde ich ganz sicher wieder am nächsten Tag einen kleinen Umweg über Mainz machen. Vielleicht würde ich sogar über Mainz fahren, wenn ich gar nicht in der Gegend von Mainz bin. Umgekippte Sauerkirschen können mich auch in Zukunft nicht aufhalten, wenn ich nach Mainz möchte.

Nein, ich werde geduldig hinter dem Trecker stehen, auch wenn der Magen noch so knurrt. Für den Hahnenhof ist mir kein Weg zu weit. Man muss das verstehen, denn in dieser Mainzer Weinstube kümmert sich Eugen, der österreichische Koch, um die allerfeinsten Backhendl, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. Wunderbares Fleisch, zarte Kruste, herrlicher Kartoffelsalat, – es ist ein Traum!

So sah mein perfektes Wochenende aus. Das einzige, was diesen Spaß noch ein bisschen perfekter macht, ist eine kleine Verlängerung am Montag. Damit nicht alles so schnell vorbei ist. Mit Astrids kleinen Krachertomaten denkt man sich gleich beim ersten Biss wieder zurück ins Wochenende. Und dann freut man sich schon aufs nächste Mal.


22 Antworten zu “Kracherwochenende”

  1. Oja! Wie schön, dass ich euch alle -dich Nata!- kennenlernen durfte.
    Zu Eugen hab ich es ja nicht mehr geschafft, bei diesem Foto nun bereue ich das ein wenig.

    Garantiert bin ich mal wieder dabei!

    Heike

  2. Wie recht Du hast. Nur erlaube mir, eine Erbse zu zählen: Ingelheim ist Rheinhessen. Der Rheingau liegt jenseits des großen Stroms…

  3. @Heike: Die Reue kommt völlig zurecht. An Deiner Stelle würde ich sofort zu Eugen fahren.

    @utecht: Danke für den Hinweis. Von hier aus sieht das alles so ähnlich aus. Ich habe es jetzt geändert.

  4. Wenn ich das Backhendl seh, bin ich sofort wieder satt….oder nein, ich will sofort wieder Kaiserschmarren….

  5. War schön, Dich wiederzusehen! Nächstes Mal müssen wir besser koordinieren, wer wann wo ankommt und abfährt. Dann entern wir den Hahnenhof gemeinsam.

  6. Ein Kracher am anderen – es war so grandios, das bleibt noch lange haften 😉

  7. Habe augenscheinlich wirklich was verpasst *seufz* Und paniertes Hähnchen mit Kartoffelsalat kann man immer essen *hachhachhach*
    Hoffe wir können uns bald mal wieder treffen!
    Februar ist wirklich der döfste Monat, alles grau und trist. Ingelheim kann ja wirklich schön sein 🙂

  8. @Kaoskoch: Hat mich auch sehr gefreut! Und der Hahnenhof geht ja im Grunde immer.

    @Alex: Das ist das Schöne an solchen Ereignissen. Man nimmt das Erlebte mit und kann sich noch lange darüber freuen.

    @Hesting: Die Kirschen mussten bestimmt nicht lange leiden. Ich glaube, die waren schon tot, als sie auf den Anhänger geladen wurden.

    @Anikó: Ich habe immer wieder an Dich gedacht. Du hättest Dich sehr gewundert ;o)

  9. Was ich zu fragen vergaß: Haben die Kätzchen Dich denn morgens geweckt oder konntest Du ausschlafen?

  10. @Dzoli: Leider muss ich Dir recht geben. Die Anreise wäre wirklich etwas zu weit. Aber bei Dir ist es sicher auch sehr schön, oder?

    @Kaoskoch: Die bengalischen Miezen sind offenbar Langschläfer, denn sie lassen sich erst ab 11 Uhr blicken. Über Nacht sind sie im Stall.

  11. Der letzte Kaiserschmarren, liebe Nata, hat sich hübsch um die Körpermitte verteilt….ich versuche ihn wegzuschwimmen……

  12. Ach da schließe ich mich Dzoli an – es war schön, virtuell dabei zu sein. Und der kirschbaum…eine Pracht..und da liegen sie auf der Straße, 10 euro das Kilo hier im hintersten bayern.

  13. Na, das nenne ich mal prompte Umsetzung eines interessanten Themas – die Tomaten waren aber auch herrlich.

    Beim Foto vom Backhendl blieb mir der Mund so weit offen stehen, dass ich die Hälfte des Gerichts problemlos hätte einwerfen können – was für eine Portion! Eugen, ich komme!!!

  14. @Mel K: Aber Du hast doch die passende Kleidung für sowas. Kannst Du die Ausbuchtungen nicht einfach wegschnüren?

    @365Tage: Wirklich so teuer? Ich habe hier noch gar keine Sauerkirschen gesehen. Aber ich hoffe sehr, dass sie nicht ganz so teuer sind.

    @Schnuppschnüss: Was das Backhendl betrifft, habe ich kein Mitleid mit Euch. Wer schon im Morgengrauen die Stadt verlässt, während andere noch brav ihren Pegel abbauen, hat es nicht anders verdient. Aber beim nächsten Mal seid Ihr schlauer, was?

  15. Wir sind ja so doooooof! Aber bis Mainz sind es vom Heimatbahnhof nur 1:21 Stunden, da könnte man ja mal eben..

  16. Liebe Nata, alles was ich überhaupt in der Lage bin zu sagen über dieses wundervolle Wochenende, habe ich ja schon versucht. Ich muss hier einfach nochmal loslassen, dass Dein Bericht umwerfend schön ist, dass es mir eine Freude und auch große Ehre war, Dich und viele andere wunderbare Menschen zu Gast haben zu dürfen.

    Wir wohnen in einer zauberhaften Gegend mit einem exzellenten Weinhaus-Restaurant in der Nähe, in dem ein Ritter III. Grades, der unglaublich Eugen von Heider kocht. Eigentlich kann man nicht schöner leben- Steigerung ist nur möglich wenn man solche Freudinnen und Freunde hat wie ich in Dir!

  17. Also über Ingelheim kann ich ja auch nur das allerbeste berichten. Trotzdem habe ich bei „Kracher“ mehr an den Neusiedler See gedacht 😉

  18. Dir ist schon klar, dass Dein Bericht das Potential hat, viele unschuldige Blogleser in bisher unbekannte Süchte zu stürzen? Zum Beispiel nach Karamellisierten Tomätchen auf Zucchinistreifen ??? 😉

  19. @Peggy: Glaub mir, diese Tomätchen machen wirklich süchtig! Aber das Schöne ist, sie lassen sich wirklich superleicht und ganz fix herstellen. Man muss nur ein ganz klein wenig warten, bis der Zucker karamellisiert ist. – Aber das lohnt sich!

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